14.02.2025
| Dr. Andreas Eich
In diesem Artikel geht es um Glas-Kapillarviskosimeter. Diese werden für die Messung der Viskosität Newtonscher Flüssigkeiten verwendet. Wichtige Normen in diesem Zusammenhang sind die ASTM D445, die neue DIN 53000, sowie die ISO 3104.
Glas-Kapillarviskosimeter im Vergleich zu anderen Viskositätsmessgeräten
Für die Viskositätsmessung mit Glas-Kapillarviskosimetern existieren verschiedene Design-Formen, wie Ostwald, Cannon-Fenske- und die besonders genauen Ubbelohde-Viskosimeter (engl. Suspended Level Viscometers), für die wir auf einen eigenen Blog-Beitrag verweisen möchten.
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Für die Viskositätsmessung gibt es aber auch Messgeräte, die auf anderen Messtechniken basieren und die zugegebenermaßen häufig schneller und einfacher zu Viskositätsergebnissen führen: Die Bestimmung der kinematischen Viskosität mit einem Kapillarviskosimeter dauert inkl. Vortemperieren der Probe, Messung mit typischerweise 3 Durchlaufzeiten und Reinigung des Viskosimeters etwa 30 Minuten. Andere Messgeräte, z.B. die nach ASTM D7042 arbeiten, benötigen weniger Zeit. In diesem Wettbewerbsumfeld stellt sich die Frage, welche Vorteile die Kapillarviskosimetrie hat. Ein Vorteil, auf den wir in diesem Beitrag eingehen, ist die Genauigkeit und Langlebigkeit der Viskosimeter-Kalibrierung.
Borosilikatglas
Glas-Kapillarviskosimeter werden gemäß Norm-Vorschriften aus Borosilikatglas 3.3 hergestellt – ein Material, dass sich durch eine hervorragende chemische Beständigkeit sowie einen geringen thermischen Ausdehnungskoeffzienten auszeichnet. Wie unten erklärt, führen beide Eigenschaften zu entscheidenden Vorteilen bezüglich der Kalibrierung.
Kalibrierung und Viskosimeterkonstante von Kapillarviskosimetern
Die Kalibrierung liefert den Zusammenhang zwischen der primären Messgröße und der davon abgeleiteten Viskosität. Eine solche Kalibrierung muss für alle Arten von Viskosimetern durchgeführt werden. Die Messunsicherheit der ermittelten Viskosität hängt naturgemäß von der Kalibrierung ab und kann nicht geringer sein als diese. Im Fall von Kapillarviskosimetern liefert die Kalibrierung den Zusammenhang zwischen der gemessenen Durchlaufzeit t und der daraus berechneten kinematischen Viskosität n. Für genügend lange Durchlaufzeiten, die in den Normen für die Kapillarviskosimetrie angegeben sind, ist diese Beziehung linear[1],und man erhält eine Viskosimeterkonstante, auch Kalibrierkonstante genannt:
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Die Einheit der kinematischen Viskosität ist üblicherweise mm2/s die Zeit wird in Sekunden gemessen, so dass sich die Einheit der Viskosimeterkonstante als mm2/s2 ergibt. Die Viskosimeterkonstante ist eine Gerätekonstante und an die Seriennummer des Viskosimeters geknüpft, die bei uns als Apparatenummer (App.Nr.) bezeichnet wird.
Gültigkeitsdauer einer Kalibrierung
Häufig wird die Frage gestellt, wie lange die Viskosimeterkonstante gilt, und wann neu kalibriert werden muss. Eine allgemeingültige Antwort gibt es darauf leider nicht. Natürlich hat dies mit der Art des Gebrauchs zu tun: Neutrale und saure wässrige Lösungen greifen das Glas nicht bzw. nur in vernachlässigbarem Ausmaß an, ebenso die meisten konzentrierten Säuren – wie konzentrierte Schwefelsäure – und organische Lösemittel.
Wichtige Ausnahme: Alkalische Lösungen greifen das Borosilikatglas an. Ebenfalls korrosiv sind Flusssäure sowie konz. Phosphorsäure bei hohen Temperaturen (>100°C), aber die beiden letztgenannten Chemikalien spielen in der Anwendung keine Rolle.
Aufgrund von Erfahrungswerten wird in DIN 53000-1 für Ubbelohde-Viskosimeter eine Frist von höchstens 5 Jahren bis zur erneuten Kalibrierung empfohlen. Verglichen mit vielen anderen Messgeräten ist dies eine lange Gültigkeitsdauer. Wir zeigen im Folgenden anhand einiger Beispiele, ob Änderungen der Viskosimeterkonstante in dieser Zeit zu erwarten sind.
Beispiele für die Langlebigkeit der Kalibrierung einzelner Viskosimeter
Die Herstellung von Kapillarviskosimetern in unserem Haus hat eine 50-jährige Historie
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Handschriftliche Dokumentation der Kalibrierung in einem Kalibrierbuch von 1992
Manche Kunden schicken ihre Viskosimeter nach längerer Verwendungszeit zur Rekalibrierung zu unserem Kalibrierlabor zurück. Für diese Viskosimeter haben wir damit die Chance, die Änderung der Kalibrierung über die Gebrauchsdauer zu verfolgen. Ein besonders bemerkenswertes Beispiel ist das
Viskosimeter mit der App.Nr. 75861, ein
Ubbelohde-Viskosimeter nach DIN, Typ 501 30 /III. Unseren Mitarbeitern im Labor fiel dieses Viskosimeter aufgrund der ungewöhnlichen Verpackung auf, die wir seit Jahrzehnten nicht mehr verwenden – und unsere Apparatenummern sind bereits seit vielen Jahren nicht mehr 5-, sondern 7-stellig.
Wir haben in diesem besonderen Fall in alten Unterlagen recherchiert und konnten die damals noch handschriftliche Dokumentation der Kalibrierung in einem Kalibrierbuch finden: Dieses Viskosimeter wurde am 19.08.1992 erstmalig kalibriert. Die ermittelte Viskosimeterkonstante war zu diesem Zeitpunkt 0,9849 [mm2/s2].
Der Verpackung konnte man die lange Gebrauchsdauer zwar ansehen, nicht jedoch dem Glas-Viskosimeter, das bei Sichtkontrolle kaum Veränderungen gegenüber einem neuen Viskosimeter zeigte.
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Viskosimeter App.Nr. 75861 nach 32 Jahren im Gebrauch
Die Rekalibrierung am 29.11.2024 ergab die Viskosimeterkonstante K=0,9845. Dies ist gegenüber dem 32 Jahre alten Ursprungswert ein vernachlässigbarer Unterschied von 0,04%. Der Wert liegt zudem innerhalb der Messunsicherheit unserer Standard-Kalibrierung, die wir konservativ mit ±0,65% für den Wert der Viskosimeterkonstante (Erweiterungsfaktor k=2) spezifizieren[2].
Diese Übereinstimmung ist erstaunlich, aber kein Einzelfall, sondern die Regel. Weitere Beispiele zur Rekalibrierung von Viskosimetern mit weniger „biblischem“ Alter finden sich in der Tabelle:
Diese Viskosimeter sind zufällig ausgewählt, die Liste ließe sich fortführen. Die Änderungen der Kalibrierkonstante übersteigen in der weit überwiegenden Mehrzahl aller Fälle die Messunsicherheit von ±0,65% nicht, auch bei einer Gebrauchsdauer über 5 Jahren.
Solch gute Wiederfindungen von Kalibrierwerten sind jedoch auch bei Ubbelohde-Viskosimetern nicht selbstverständlich. Sie setzen neben einem qualitativ hochwertigen Kalibrierprozess[3]
Temperaturabhängigkeit der Viskosimeterkonstante
Neben der Langlebigkeit der Viskosimeterkonstante ist noch ein weiterer Vorteil der Kalibrierung von Glas-Kapillarviskosimetern hervorzuheben: Der Wert von K ändert sich mit der Temperatur nur sehr wenig.
Dies gründet sich auf den geringen thermischen Ausdehnungskoeffizienten von Borosilikatglas: 3 · 10-6 K-1. Da sich deshalb das Viskosimeter mit der Temperatur nur wenig ändert, führt ein Temperaturunterschied von 100 °C zwischen Kalibrierung bzw. Messung nur zu einem Fehler kleiner 0,1 %. Dies ist in DIN 53000-2 dokumentiert, einer Norm, die sich speziell mit den Fehlerquellen und Korrektionen von Viskositätsmessungen mit Glas-Kapillarviskosimetern beschäftigt. Ein Temperaturunterschied bis zu 100°C zur Kalibriertemperatur kann deshalb bzgl. der Änderung der Viskosimeterkonstante in der Regel vernachlässigt werden.
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Inhalte:
- Viskosität - Rheologie
- Grundlagen der Kapillarviskosimetrie
- Messung der Durchflusszeit
- Verfahren zur Viskositätsermittlung
- Kalibrierung
- und weiteres...
Quellen
[1]Für kurze Durchlaufzeiten muss eine Hagenbach-Korrektion (engl. Kinetic Energy Correction) ermittelt und berücksichtigt werden, insbesondere bei Viskosimetern mit engen Kapillaren und wenn hohe Genauigkeiten angestrebt werden. Dies ist ein separates Thema und soll hier nicht näher beschrieben werden.
[2]Die Messunsicherheit der Viskosimeterkonstante hängt von dem Aufwand bei der Kalibrierung ab. Ubbelohde-Viskosimeter lassen sich noch genauer als = ±0,65% kalibrieren, was von einigen ISO 17025 zertifizierten Kalibrierlaboratorien sowie nationalen metrologischen Instituten durchgeführt und kommerziell angeboten wird -- Erfahren Sie mehr im Master-Ubbelohde-Blog
[3]Die Vorgaben für die Kalibrierung z.B. von Ubbelohde-Viskosimetern nach DIN sind in DIN 53000-3 angegeben. eine gründliche Reinigung der Viskosimeter vor der Kalibrierung voraus, sowie im Mess-Alltag des Anwenders die Vermeidung von alkalischen Flüssigkeiten bei Messung und Reinigung.